1. Der Stellenwert der Produktentwicklung im Unternehmen
Für das einzelne Unternehmen stellen Produktentwicklungen einen maßgeblichen Faktor für Produktivitätssteigerungen dar, so daß als unternehmerische Oberziel – die Gewinnmaximierung – erreicht werden kann.[1] Eine primäre Aufgabe des Unternehmens besteht darin, neue Marktbedürfnisse und -chancen zu erkennen und darauf mit geeigneten und effektiven Produktlösungen zu reagieren. Einer Studie des Ifo-Informationsdienstes zufolge, weisen erfolgreiche Unternehmen höhere Wachstumsraten auf als weniger erfolgreiche, weil sie in größerem Umfang neue Produkte einführen.[2] Holistisch betrachtet stimulieren Produktentwicklungen das Wirtschaftswachstum und verbessern – Umweltverträglichkeit vorausgesetzt – die Lebensqualität des einzelnen Individuums und der Gesellschaft als Ganzes.
Obwohl Produktentwicklungen für den Fortbestand sowohl des einzelnen Unternehmens als auch ganzer Branchen notwendig sind, sehen sich viele Unternehmen mit großen Schwierigkeiten konfrontiert, wenn Produkte entwickelt und anschließend vermarktet werden sollen. 50% aller Aufwendungen für Produktentwicklungen werden für erfolglose Projekte verwendet.[3] Hier entstehen den Unternehmen Entwicklungskosten, ohne daß entsprechende Rückflüsse erwartet werden können.
Insbesondere in Märkten, die durch kurze oder kürzer werdende Produktlebenszyklen – ohne eine entsprechende Anpassung der Produktentwicklungszeiten -, gesteigerte Komplexität unternehmerischen Handelns und verstärkte Unsicherheit bei Entscheidungen gekennzeichnet sind, kommt der Produktentwicklung eine zentrale Bedeutung für den Erfolg eines Unternehmens zu. Primäre Aufgabe des Unternehmens ist es, die Rate der erfolgreichen Produktentwicklungen zu erhöhen.[4]
2. Der Produktentwicklungsprozeß
Der Prozeß der Produktentwicklung besitzt eine komplexe Struktur und ist abhängig von den unternehmens- und situationsspezifischen Gegebenheiten. Cooper weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es kein allgemeingültiges, typisches Modell gibt, das den Produktentwicklungsprozeß im Detail und mit allen Ausprägungen abbildet.[5]
2.1 Modelle des Produktentwicklungsprozesses
2.1.1 Abteilungsphasenmodelle[6]
Die Abteilungsphasenmodelle sind einfache Modelle, die die Phasen der Produktentwicklung in bezug auf die einbezogenen Abteilungen bzw. Funktionsbereiche des Unternehmens beschreiben (vgl. Abb. 1 und Abb. 2). Diese Modellart listet lediglich die beteiligten Abteilungen auf, zeigt aber weder Überlappungen zwischen den Abteilungen noch die einzelnen Aktivitäten in der jeweiligen Phase.
2.1.2 Aktivitätsphasenmodell[7]
Der Prozeß der Produktentwicklung beinhaltet bis zu sieben verschiedene Aktivitäten in logischer Ordnung, die interdependent miteinander verbunden sind. In der ersten Phase des Aktivitätsphasenmodells steht die Strategiedefinition (Define New Product Strategy), eine Maßnahme im Rahmen der strategischen Planung des Unternehmens, an der die verschiedenen Abteilungen bzw. Funktionsbereiche interaktiv beteiligt sind und in engen Kontakt treten. Die unterschiedlichen Anforderungen an das neue Produkt – Produktdesign, Kostenkontrolle, Kundenbedürfnisse, Qualitätsaspekte etc. – werden somit schon in der frühen Produktentwicklungsphase berücksichtigt. Die Strategiedefinition beeinflußt alle nachfolgenden Phasen der Produktentwicklung, insbesondere aber die zweite Phase der Ideenfindung (Idea Generation).
Von Hippel[8] kommt nach umfassenden Studien zu dem Schluß, daß der Prozeß der Ideenfindung ein kundenaktiver Prozeß oder ein produzentenaktiver Prozeß ist, je nachdem, welche Partei den Prozeß der Produktentwicklung initiiert. Kotler/Bliemel hingegen differenzieren die Quellen der Ideenfindung stärker und betonen, daß neue Ideen von Kunden, Wissenschaftlern, Zwischenhändlern, Universitäten, Patentanwälten usw. entwickelt werden können.[9]
In der dritten Phase erfolgt eine Überprüfung (Screening) aller Ideen auf technische Durchführbarkeit, Eingliederung in das Produktmix, finanzwirtschaftliche Tragbarkeit, Synergieeffekte etc.; ein Managementprozeß, unmittelbar bevor das Produkt in die eigentliche, kostenintensive Produktentwicklung (Product Design and Development) wechselt. In der Phase der Produktentwicklung werden die Marketinganforderungen an das neue Produkt in ein technisches, marktorientiertes Design gebracht.
Anschließend durchläuft das Produkt die sogenannte Testphase (Testing), in der sowohl die Produktidee, das Produktkonzept und das Produktimage unter Marktverhältnissen erprobt wird, bevor es letztendlich zur Markteinführung (Commercialization) des Produktes kommt.
Aktivitätsphasenmodelle stellen eine objektive Verbesserung der Abteilungsphasenmodelle dar, da sie eine eindeutige Aufgabenstellung für jede Phase geben, die einzelnen Phasen exakter abgrenzen – obwohl Überschneidungen möglich sind – und den eigentlichen Entwicklungsprozeß auf die jeweiligen Aktivitäten herunterbrechen und nicht auf die zuständigen Abteilungen. Eine Schwachstelle dieses Modells ist die Annahme einer relativ starren Ordnung der einzelnen Phasen, die eine Produktentwicklung nacheinander durchläuft und das Fehlen von sog. Feedback-Loops, die es ermöglichen, einmal getroffene Entscheidungen zu revidieren.[10]
2.1.3 Entscheidungsphasenmodelle
Bei Entscheidungsphasenmodellen wird die Prämisse zugrunde gelegt, daß sich der Produktentwicklungsprozeß in eine Folge von Entscheidungen aufteilt, die auf jeweils aktuellen Informationen basieren. Die einzelnen Phasen sind durch eine gewisse Anzahl von Aktivitäten gekennzeichnet: der Informationsbeschaffung zwecks Reduzierung von Unsicherheiten, der Bewertung der jeweiligen Informationen und der eigentlichen Entscheidung bei gleichzeitiger Identifikation der noch verbleibenden Unsicherheiten.[11] Die Entscheidungsphasenmodelle sind Ausprägungen der Aktivitätenphasenmodelle mit den entsprechenden Vorteilen. Aufgrund der permanenten Bewertung von Entscheidungen eignen sich diese Modelle darüber hinaus für Wahrscheinlichkeitsanalysen, Computer-Simulationen und entscheidungstheoretische Verfahren.[12]
2.1.4 Umwandlungsprozeßmodelle
Hauptkritik der Phasenmodelle liegt darin, daß diese den Produktentwicklungsprozeß als eine geordnete, logische Sequenz darstellen und rationales Verhalten unterstellen, das in der Praxis nicht immer zu beobachten ist.[13] Die Umwandlungsprozeßmodelle (Abb. 3) betrachten den Prozeß der Produktentwicklung als ein System mit spezifischen Inputs – Information, Aktivitäten, Ressourcen – und Outputs, bei dem der eigentliche Prozeß, die Umwandlung, als sogenannte Black-Box dargestellt wird. Diese Modellart ist jedoch nicht geeignet, dem Management detaillierte Handlungsanweisungen zu liefern, da sie weder die jeweils notwendigen Aktivitäten beschreibt noch den Produktentwicklungsprozeß in geeigneter Weise gliedert. Der Entscheidungsträger kann somit kein System genereller Regeln für sein Handeln ableiten.[14]
2.1.5 Reaktionsmodelle
Bei den Reaktionsmodellen wird der Prozeß der Produktentwicklung als S-O-R-Modell dargestellt. Diese Betrachtungsweise differenziert nach Stimulusvariablen, Variablen des Organismusses und Reaktionsvariablen. Ausgangspunkt von Produktentwicklungen in Reaktionsmodellen sind die von Individuen oder Organisationen wahrgenommenen Veränderungen, die eine Informationssuche auslösen und in einer Bewertung der Ergebnisse und entsprechenden Reaktionen enden.
2.2 Bewertung der Produktentwicklungsprozeß-Modelle[15]
Die Vielzahl von unterschiedlichen Modellen, die den Produktentwicklungsprozeß abbilden, ist darauf zurückzuführen, daß jedes einzelne einer unterschiedlichen Zielsetzung genügt und andere Schwerpunkte setzt. Die Umwandlungsprozeßmodelle beschreiben nicht den aktuellen Produktentwicklungsprozeß, während Reaktionsmodelle lediglich eine spezifische Phase des Entwicklungsprozesses abbilden. Abteilungsphasenmodelle betrachten die beteiligten Abteilungen und nicht die mit der Produktentwicklung verbundenen Aktivitäten. Gerade die Betrachtung der Aktivitäten ermöglicht die Umsetzung des Modells in allgemeine Handlungsanweisungen oder sogar in ein System genereller Regeln. Die Entscheidungsphasenmodelle erweitern die Aktivitätsphasenmodelle durch einen stärkeren Realitätsbezug und größere Flexibilität.
2.3 Produktentwicklung, Adoption und Diffusion als verbundene Prozesse
Der Prozeß der Produktentwicklung ist eng verbunden mit dem der Adoption und der Diffusion (Abb. 4).[16] Adoption[17] ist die Annahme einer Innovation durch Käufer. Den Kaufentscheidungsprozeß bei neuen Produkten versucht man über Adoptionsmodelle zu erfassen. Die zeitliche Abfolge verschiedener Adopterkategorien (Innovatoren, Frühadopter, frühe Mehrheit, späte Mehrheit, Nachzügler) ist Gegenstand der Diffusionsforschung.
Diffusion[18] ist die Ausbreitung innovativer Ideen, Produkte, Verfahren usw. in sozialen Systemen im Zeitablauf durch persönliche und/oder unpersönliche Kommunikation. Das Diffusionsmodell gibt wichtige Hinweise für den Einsatz der marketingpolitischen Instrumente.
Detaillierte Kenntnis der Adoptionsprozesse sowie die Wahrnehmung des engen Bezuges zwischen Produktentwicklungsprozeß und Adoption unterstützt das Unternehmen bei der Produkteinführung: „Industrial buying behaviour can not be studied in isolation from industrial marketing behaviour.“[19]
3. Beziehungen, Interaktionen und Netzwerke beim Produktentwicklungsprozeß
Die Verbundenheit des Produktentwicklungsprozesses mit Adoption und Diffusion vergrößert den Kreis derjenigen Marktteilnehmer, die unmittelbar und mittelbar an der Produktentwicklung beteiligt sind. Die Marketing-Wissenschaft wird dieser Tatsache gerecht, indem sie unterschiedliche Ansätze liefert, die die einzelnen Parteien und Beziehungen in bezug auf den Produktentwicklungsprozeß beschreiben.
3.1 Der Produzent als Initiator des Produktentwicklungsprozesses
Viele Studien und Modelle betrachten den Prozeß der Produktentwicklung aus der Sicht des produzierenden Unternehmens und richten ihre Aufmerksamkeit vorrangig auf die Verbesserung der Erfolgsraten bei der Produkteinführung. Die Hauptessenz dieser Studien ist eine Empfehlung an die Produzenten, einen möglichst rationalen und einfachen Produktentwicklungsprozeß zu benutzen, der nach Aktivitäten gegliedert ist.[20] Die Initiative liegt beim Produzenten: „Much is said about actions and very little about reactions.“[21]
3.2 Der Verwender/Kunde als Initiator des Produktentwicklungsprozesses
Wenige Studien haben die aktive Rolle des Verwenders/Kunden am Produktentwicklungsprozeß erkannt. Von Hippel hat ein „customer-active“-Paradigma entwickelt, das er dem älteren „manufacturer-active“-Paradigma vergleichend gegenüberstellt. Durch seine Studien im Investitionsgüterbereich weist von Hippel nach, daß viele Produktentwicklungsprozesse durch den Verwender/Kunden initiiert werden (Tab. 1)
Von Hippel stellt die Hypothese auf, daß das „manufacturer-active“-Paradigma vornehmlich für Konsumgütermärkte relevant ist und das „customer-active“-Paradigma für den Investitionsgüterbereich.[22] Die Aktivitäten seitens des Verwenders/Kunden beschränken sich nicht auf bloße Ideenfindung, sondern der Verwender kann ein Problem oder einen Bedarf identifizieren, generelle Lösungen anbieten, die Produktfunktionen spezifizieren oder sogar ein komplettes Produktdesign liefern.[23]
Diese Ergebnisse werden auch in ihrer Tendenz von anderen Studien (siehe zum Beispiel Axelsson and Håkansson [1984]) bestätigt.
3.3 Produktentwicklung als ein interaktiver Prozeß zwischen Verwendern/Kunden und Produzenten
In den vorher beschriebenen Ansätzen lag die Initiative jeweils bei einer Partei. Eine alternative Betrachtungsweise ist die Kombination von Verwender/Kunde und Produzent, die eine aktive Rolle in einem interaktiven Produktentwicklungsprozeß übernehmen. Die Studie der International Marketing and Purchasing Project Group (IMP-Studie) identifizierte eine große Anzahl von gemeinsamen Entwicklungsaktivitäten zwischen Anbieter und Abnehmer.
3.3.1 Das Interaktionsmodell der IMP-Group
Das theoretische Rahmenwerk des IMP-Interaktionsmodells besteht aus vier verschiedenen Gruppen von Variablen, die die Interaktion zwischen kaufenden und verkaufenden Unternehmen beschreiben (Abb. 5) und die auf den Produktentwicklungsprozeß übertragen werden können. „Organisationen werden als soziale Systeme durch ihre Elemente, die Beziehungen zwischen den Elementen und durch die Beziehungen zur Umwelt charakterisiert.“[24]
3.3.1.1 Der Interaktionsprozeß
Der Produktentwicklungsprozeß als interaktives Modell ist gekennzeichnet durch kurzfristige Episoden. Zwischen Verwender/Kunde und Produzent kommt es zum Austausch von Produkten, Informationen, finanziellen Mitteln und sozialen Beziehungen. Beispielsweise liefert der spätere Verwender des Produktes ein spezielles Bauteil oder das Know-how für eine Produktfunktion, oder er unterstützt den Produzenten mit Spezialisten, um ein Produktdesign zu realisieren, das seinen Anforderungen entspricht. Eine mögliche Kooperation im Produktentwicklungsbereich könnte auch die gemeinsame Finanzierung von Produktentwicklungen sein, so daß die Kosten nicht allein vom Produzenten getragen werden müssen.
Langfristig bauen sich Beziehungen auf, die durch gewisse Erwartungshaltungen und Verantwortlichkeiten gegenüber dem Partner gekennzeichnet sind. Es kommt zu Anpassungen zwischen den beiden Parteien, die das gegenseitige Vertrauen stärken, die Beziehung insgesamt festigen und die Basis für weitere Kooperationen bilden.
3.3.1.2 Die Interaktionsparteien
Der Prozeß der Interaktion und die Beziehungen zwischen Organisationen sind nicht nur abhängig von den einzelnen Elementen des Interaktionsprozesses, sondern auch von den jeweiligen Charakteristika der Interaktionsparteien. Das Ausmaß der vorhandenen Technologie in den beiden Partnerunternehmen ist entscheidend für das Innovationsverhalten, den Informationsbedarf und die Interaktionsbereitschaft. Unternehmen, deren Technologie ähnlich ist, werden andere Interaktionsformen finden als Unternehmen mit sehr unterschiedlicher Technologie. Die Größe eines Unternehmens, seine Struktur und Strategie prägen das Beziehungsgeflecht im Interaktionsmodell. Der Prozeß der Produktentwicklung wird zusätzlich beeinflußt durch die Erfahrungen, die beide Unternehmen mit Interaktionen haben. So wird beispielsweise ein Unternehmen mit positiven Erfahrungen aus früheren Interaktionen eher bereit sein, mit diesem oder anderen Partnern Produkte gemeinsam zu entwickeln und so das unternehmerische Risiko zu reduzieren.
3.3.1.3 Das Interaktionsumfeld
Die Beziehungen zwischen Käufer und Verkäufer auf Märkten können nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen in die Marktstruktur, die spezifische Dynamik der Marktsituation, die voranschreitende Internationalisierung und das soziale System eingeordnet werden.[25]
In einer sehr homogenen Marktstruktur werden Unternehmen aus Gründen des Wettbewerbs mit anderen Partnern gemeinsame Produktentwicklungen anstreben, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern und die Bedürfnisse des Verwenders/Kunden besser zu befriedigen, als alle anderen in Betracht gezogenen Wettbewerber (Komperative Konkurrenzvorteile). Die Verflechtungen im sogenannten „manufacturing channel“ werden Einfluß nehmen auf die Produktentwicklung, da die Anforderungen an das Produkt jeweils an den nächsten Produzenten weitergegeben werden und somit ein Produkt nachgefragt wird, dessen Design allen Anforderungen entspricht.
Produziert beispielsweise Produzent A elektronische Bauteile für Produzent B, der seinerseits Aggregate für Produzent C – den Elektromaschinenhersteller – entwickelt, so werden die Funktionsanforderungen des entsprechenden Bauteils von C über B bis schließlich nach A weitergegeben, der diese bei seiner Produktentwicklung berücksichtigen muß.
3.3.1.4 Die Atmosphäre
Aus den einzelnen Episoden entwickelt sich zwischen anbietender und nachfragender Organisation die sogenannte Atmosphäre, die durch das Kräfteverhältnis der beiden Parteien, ihren Kooperationsstatus, ihren gegenseitigen Erwartungen und die Intensität ihrer Beziehungen beschrieben wird.[26]
In ihrer ökonomischen Dimension reduziert die Atmosphäre beispielsweise die Transaktionskosten, da eine nähere Verbindung zum Partnerunternehmen die Distribution, gegenseitige Verhandlungen und administrative Maßnahmen effektiver gestaltet. Beide Parteien können den Produktentwicklungsprozeß des Partners besser kontrollieren. Zusätzlich ist eine gerechtere Verteilung der Produktentwicklungskosten möglich und die einzelnen Parteien können von der Kompetenz, den Möglichkeiten und den Ressourcen des anderen profitieren.[27]
Das Verhältnis zwischen den Interaktionsparteien kann kooperativ, aber auch konfliktionär sein. Konfliktpotential zwischen den Partnern bewirkt Innovation und Entwicklung, wenn es konstruktiv genutzt wird.[28] Die Atmosphäre, die nicht direkt gemessen werden kann, stellt den Zusammenhang zwischen den anderen Elementen her.[29]
3.4 Produktentwicklung in einer Netzwerkperspektive
Hauptkritikpunkt gegen die bis jetzt dargestellten Ansätze ist deren Konzentration auf einen (siehe 3.1, 3.2) oder einige Akteur(e) (3.3). Die Studie der IMP-Group beschränkt sich auf die Darstellung der Beziehungen zwischen anbietender und nachfragender Organisation, ohne das Verhältnis in einen Gesamtkontext zu setzen.
Der schwedische Unternehmensteil der IMP-Group und viele andere Wissenschaftler gehen mit ihren Ansätzen über einfache Produzenten-Verwender/Kunden-Beziehungen hinaus und postulieren die Einbeziehungen von mehreren Akteuren in das Denkmodell.[30] Das produzierende Unternehmen operiert dann innerhalb eines Netzwerkes, das sich aus einer Vielzahl von Unternehmen zusammensetzt, die durch individuelle, interaktive Beziehungen miteinander verbunden sind. Eine Produktentwicklung ist dementsprechend nicht als Produkt eines Akteurs zu sehen, sondern vielmehr als ein Ergebnis eines Netzwerkes von Akteuren.[31]
3.4.1 Gründe für die Implementierung des Netzwerkansatzes – als Weiterentwicklung des Interaktionsmodells – beim Produktentwicklungsprozeß
Neben den Gründen, die für die Implementierung des Interaktionsansatzes sprechen, existieren weitere Gründe, die darüber hinaus die Implementierung des Netzwerkansatzes unterstützen.
Neue (Er-)Kenntnisse in Zusammenhang mit Produktentwicklungen und/oder Prozeßentwicklungen tauchen oft an der Schnittstelle zwischen zwei Wissensgebieten auf. Aus der Kombination des gemeinsamen Wissens und der Erfahrungen können neue Produktideen entstehen. Im Rahmen von interaktiven Effekten werden beispielsweise die Bedürfnisse des Verwenders/Kunden mit den technischen Möglichkeiten des Produzenten abgestimmt und beide Partner erhalten die Gelegenheit, die Bedürfnisse und Möglichkeiten zu revidieren und neu zu definieren.[32] Die Austauschsituation innerhalb des Netzwerkes kann eine Schnittstelle zwischen den verschiedenen Spezialisten darstellen, die ihre Kompetenz gemeinsamen Produktentwicklungen zur Verfügung stellen.
Jedes Produkt, jede Serviceleistung und jedes System ist abhängig von anderen Produkten, Serviceleistungen und Systemen und kann dementsprechend nicht isoliert betrachtet werden. Dies erfordert vom einzelnen Unternehmen die Anpassung der eigenen Produkte an andere bereits im Netzwerk vorhandene oder in der Entwicklung stehende Produkte. Der Produktentwicklungsprozeß ist eine Kombination aus Lernen, Anpassung und Sozialisierung mit einer entsprechenden Mobilisierung der zur Verfügung stehenden Ressourcen.[33]
Der Unternehmung stehen Ressourcen nicht in unbegrenztem Umfang zur Verfügung, so daß eine Spezialisierung bei der Produktentwicklung notwendig ist: „It is stupid to try to develop products by yourself that can be much more effectively developed by a supplier.“[34] Dieser Spezialisierungseffekt geht einher mit einer Reduzierung der Produktmöglichkeiten, so daß kleine hochspezialisierte Entwicklungseinheiten entstehen, die koordiniert werden müssen.
3.4.2 Der Netzwerkansatz
Die dyadische Sichtweise des Interaktionsansatzes, der sich auf die Anbieter-Nachfrager-Beziehung beschränkt, kann durch den Netzwerkansatz erweitert werden, der sich um eine holistisch-dyadische Darstellung bemüht.
Håkansson identifizierte drei Basiselemente von Netzwerken: Akteure, Aktivitäten und Ressourcen (Abb. 6).
Die Akteure im Netzwerkmodell verrichten die Aktivitäten und kontrollieren die Ressourcen. Ihr Hauptanliegen ist die Kontrolle des Netzwerkes zu ihren Gunsten. Durch ihre eigenen Erfahrungen und ihr Wissen sowie durch ihre Beziehungen im Netzwerk versuchen die Akteure, ihre Position zu verbessern: „They are networking.“[35]
Viele Akteure beeinflussen den Produktentwicklungsprozeß im Netzwerk: Anbieter von Produktequipment, Produktkomponenten und Materialien etc., Kunden oder Kundenkunden, Forschungsinstitute und Universitäten, externe Berater oder Produzenten von Komplementärprodukten und Wettbewerber sind potentielle Kooperationspartner, die den Produktentwicklungsprozeß beeinflussen. Sie verfügen über spezielle Ressourcen und Informationen über Aktivitäten, Ressourcen und andere Akteure, die einen interaktiven, netzwerkabhängigen Produktentwicklungsprozeß er-möglichen.
Die Akteure verrichten Aktivitäten, indem sie Ressourcen kombinieren, entwickeln und austauschen. Es gibt zwei Kategorien von Aktivitäten: Die Transformationsaktivitäten werden von einem Akteur kontrolliert, in dem er eine Ressource durch die Verwendung anderer Ressourcen verbessert. Transaktionsaktivitäten verbinden Transformationsaktivitäten, bilden Aktivitätsketten und schaffen Beziehungen zu anderen Akteuren. Die Kombinationen von Aktivitäten bildet mehr oder weniger repetitive Aktivitätszirkel, in denen sich bestimmte interdependente Aktivitäten wiederholen.
Im Netzwerk lernen die Akteure den Produktentwicklungsprozeß so durchzuführen, daß Aktivitätszirkel und Transaktionsketten effektiver gestaltet werden. Ein typischer Aktivitätszirkel in industriellen Netzwerken ist der der Produktentwicklung, der Produktion und der Verwendung des Produkts.[36] Jede einzelne Aktivität ist gleichzeitig Bestandteil von mehreren Aktivitätszirkeln (Abb. 7); so ist beispielsweise die Produktentwicklung sowohl Bestandteil des Aktivitätszirkels Produktentwicklung –> Produktion –> Konsum als auch des Aktivitätszirkels Investition –> Konsum (Konsum derjenigen Maschinen und Dienstleistungen, die für die Produktentwicklung notwendig sind).[37]
Grundlage der Aktivitäten sind die Ressourcen. Durch die Kombination von Ressourcen entsteht neues Wissen, das alte Aktivitätszirkel verändert oder auflöst und die gesamte Netzwerkstruktur beeinflußt. „The only limitation of combinations of resources is that of human creativity.“[38] Ressourcen und Aktivitäten beeinflussen sich gegenseitig, so daß eine Veränderung der Aktivitäten eine Veränderung der Ressourcen nach sich ziehen kann, et vice versa.
3.4.3 Der Zusammenhang zwischen Produktentwicklung und technischer Entwicklung
Die Produktentwicklung in einer Netzwerkperspektive kreiert Beziehungen zwischen Aktivitäten, Ressourcen und Akteuren. In diesem Zusammenhang kann die Produktentwicklung als Netzwerkfaktor betrachtet werden, der andere Aktivitäten, Ressourcen und Akteure im Netzwerk beeinflußt. Der Produktentwicklungsprozeß des einzelnen Unternehmens kann somit nur im Zusammenhang mit der technologischen Gesamtentwicklung des Netzwerkes betrachtet werden.
3.4.3.1 Aktivitäten, die die technische Gesamtentwicklung des Netzwerkes beeinflussen
Das Netzwerkmodell ist kein statisches sondern ein dynamisches Modell, da es sich im Zeitablauf permanent verändert. Nach Carlsson[39] beeinflussen drei Arten von Aktivitäten die technische Gesamtentwicklung:
Realkapitalinvestitionen beinhalten die Entwicklung von Produktequipment und/oder neuer Produktionsprozesse und stellen somit Veränderungen der Transaktionsaktivitäten dar.
Im Wood Saw[40]-Beispiel beschreibt Håkansson eine bedeutende Veränderung im Realinvestitionsverhalten der Sägemühlen, als Akteure des Wood Saw-Netzwerkes in den 70er Jahren:
Ursprünglich erwarben die Sägemühlen einzelnes Produktequipment, das dann zu Systemen zusammengefügt wurde. In den 70er Jahren veränderten die Sägemühlen jedoch ihr Realinvestitionsverhalten und erwarben nunmehr komplette Sägelinien, da sich aufgrund der vorangeschrittenen technologischen Gesamtentwicklung einzelnes Produktequipment nur noch schwer kombinieren ließ. Das neue Equipment war ein Resultat der engen Kooperation zwischen Sägemühlen und Equipmentproduzenten.
Tag-für-Tag-Rationalisierungen sind alle auch noch so geringfügigen Änderungen im Tagesgeschehen, die die Effektivität der Transformations- und Transaktionsaktivitäten und deren Kombination verbessern.
Die Tag-für-Tag-Rationalisierungen im Wood Saw-Netzwerk wirkten sich beispielsweise in erster Linie auf die Produktionsparameter Geschwindigkeit und Genauigkeit des Produktionsprozesses aus.
Produktentwicklungen, letztendlich, sind Veränderungen der Transaktionsaktivitäten, die bis zu einem gewissen Grad auch Veränderungen der Transformationsaktivitäten bewirken.
Produktentwicklung bei den Sägemühlen betrafen in erster Linie die Oberflächen und die Genauigkeit der produzierten Güter.
Die Kombination dieser drei Aktivitäten im Netzwerk bestimmt die technologische Gesamtentwicklung und kann als Lernprozeß[41] aufgefaßt werden.
3.4.3.2 Chancen und Risiken des einzelnen Netzwerkakteurs
Aus der Sicht eines einzelnen Akteurs kann die Netzwerkperspektive Möglichkeiten eröffnen aber auch Beschränkungen beinhalten.
3.4.3.2.1 Das Netzwerk als Hindernis für Veränderungen
Verändert ein Netzwerkakteur sein Produkt, so zieht das Veränderungen innerhalb des Beziehungs- und Abhängigkeitsgeflechts nach sich, die mit entsprechenden Kosten verbunden sind.[42]
Technische Abhängigkeiten entstehen dadurch, daß individuelle Produkte mit anderen Produkten innerhalb eines technischen Systems verwendet werden. Die Produktentwicklung und anschließende Markteinführung setzt die Produktakzeptanz seitens der anderen Produzenten voraus, die ihre eigenen Produkte in geeigneter Weise anpassen.
Im Netzwerk existieren gewisse Informations- und Wissensabhängigkeiten. Zum Beispiel muß der Verwender eines Produktes bestimmte Kenntnisse besitzen, wenn er das Produkt gebrauchen will. Dementsprechend erfordert die Produkteinführung eine detaillierte Kenntnisvermittlung über die Gegebenheiten des Produktgebrauchs..
Das Netzwerk als soziales Konstrukt basiert auf den sozialen Beziehungen der Netzwerkakteure, so daß soziale Abhängigkeiten entstehen, die einem neu hinzukommenden Akteur den Netzwerkeintritt erschweren können. Gängige soziale Faktoren wie Werte und Normen etc. sind relevante Einflußgrößen.
Diese Typen von Abhängigkeiten kreieren zusammen mit zusätzlichen logistische und/oder administrative Abhängigkeiten starke Barrieren für Produktentwicklungen und -neueinführungen. Für den einzelnen Akteur ist die Wahrnehmung solcher Abhängigkeiten von großer Bedeutung, wenn er das Risiko und die Unsicherheit bei der Neuprodukteinführung reduzieren will.
3.4.3.2.2 Das Netzwerk als Quelle für neue Ressourcen und Ideen
Jeder Akteur im Netzwerk ist ein potentieller Kooperationspartner und dementsprechend eine mögliche Ressourcenquelle. Das einzelne Unternehmen findet zum einen Unterstützung bei der Ideenfindung für Neuproduktentwicklungen, zum anderen ist auch die direkte Unterstützung bei der Produktentwicklung denkbar.
Eine bedeutende Schwierigkeit bei der Entwicklung eines neuen Produktes ist die Einschätzung seitens des entwickelnden Unternehmens, inwiefern das Produkt im Netzwerk akzeptiert wird. Diese Unsicherheit kann nur durch eine ausgeprägte Testphase reduziert werden, wobei das Netzwerk der Überprüfung und Einschätzung der Produktideen dient.
3.4.3.2.3 Das Netzwerk als Informationsmedium
Jedes Netzwerk ist ein ausgeprägtes Kommunikationssystem, in dem ein Akteur Informationen verbreiten und sammeln kann ohne direkten Kontakt zu allen Netzwerkakteuren zu haben. Dies eröffnet dem einzelnen Akteur die Möglichkeit, Kenntnisse in den verschiedensten technologischen Bereichen zu erwerben, ohne daß er direkt in diese Beziehungen investieren muß.
4. Managementimplikationen und abschließende kritische Würdigung des Netzwerkansatzes beim Produktentwicklungsprozeß
Der Netzwerkansatz ist kein bloßes theoretisches Konstrukt ohne Praxisbezug, sondern kann in das strategische Entscheidungsgefüge der einzelnen Unternehmung eingebunden werden.
Kaum eine Unternehmung kann heute noch als völlig unabhängige Einheit betrachtet werden. Dieser Entwicklung muß das Management Rechnung tragen, indem entsprechende Abhängigkeiten schon im frühen Stadium des Produktentwicklungsprozesses berücksichtigt werden. Håkansson empfiehlt dem Management, von den Reaktionen der anderen Akteure zu lernen und nicht mehr völlig unabhängig zu planen.[43] Kooperationen sind für ihn ein bedeutendes Werkzeug, um Ressourcen zu mobilisieren und existierende Ressourcen effektiver zu nutzen.
Das Netzwerkkonzept ist für die Produktentwicklung von besonderer Relevanz, da die ständige wachsende Komplexität von Produkten einen interdisziplinären Wissenstransfer erfordert. Manches Produktdesign überschreitet das Know-how des Herstellerunternehmens, so daß der Produzent auf die Unterstützung von Universitäten, unabhängigen Forschungslaboratorien, möglichen Wettbewerbern, Kunden etc. angewiesen ist. Die gesteigerte Komplexität erhöht gleichzeitig die Nachfrage nach standardisierten Gütern, die untereinander kompatibel sind. Die Herstellerunternehmen sind darauf angewiesen, daß ihre Produkte von anderen Akteuren im Netzwerk akzeptiert werden und entsprechende Anpassungen stattfinden.
Nicht zuletzt ist der Netzwerkansatz ein Mittel das Risiko und die Unsicherheit bei unternehmerischen Entscheidungen zu reduzieren, da gerade Innovationen und Neuproduktentwicklungen teuere und mit hohem Risiko behaftete Aktivitäten sind.
Neben vielen Vorteilen des Netzwerkansatzes existieren jedoch auch eine Reihe von Problemen, die nicht zu unterschätzen sind: Kooperationen auf dem Gebiet der Produktentwicklung bedeuten für das einzelne Unternehmen häufig die Preisgabe von unternehmensinternen Informationen, geheimen Rezepturen und Verfahrensweisen. Das Risiko, durch Netzwerktätigkeiten an Marktmacht zu verlieren, muß den entsprechenden Vorteilen gegenübergestellt werden. „Although there is no simple solution to this, one important step is to be aware of it.“[44] Intime Beziehungen zu Kunden können die Neutralität zu anderen Kunden verletzen, so daß dem Unternehmen hier wertvolle Ressourcen verloren gehen können.
Der Netzwerkansatz ist für den Produktentwicklungsprozeß ein alternatives Denkschema. Geläufige Marketingaspekte, wie Kundenorientierung und das Denken in komperativen Konkurrenzvorteilen, finden ebenso ihre Beachtung, wie die modernen Ansätze des gesellschaftsorientierten Marketings und das Denken in komplexen Interaktionsstrukturen.¨
[1] Vgl.: Avard, Catto and Davidson [1982] S. 33-41
[2] Vgl.: Kotler / Bliemel [1992] S. 485-488
[3] Vgl.: Booz, Allen and Hamilton [1982] S. 14
[4] Vgl.: Backhaus [1992] S. 241
[5] Vgl.: Cooper [1983] S. 1-13
[6] Vgl.: Robertson [1974]
[7] Vgl.: Mahin [1991] S. 311-320
[8] Vgl.: von Hippel [1978] S. 48
[9] Vgl.: Kotler/Bliemel [1992] S. 494-496
[10] Vgl.: Biemans [1992] S. 34-35
[11] Vgl.: Cooper and Moore [1979] S. 93-99
[12] Vgl.: Biemans [1992] S. 35
[13] Vgl.: Quinn [1985] S. 83
[14] Vgl.: Biemans [1992] S. 39
[15] Vgl.: Biemans [1992] S. 40
[16] Vgl.: Biemans [1992] S. 62
[17] Vgl.: o.V. [1988] Spalte 92
[18] Vgl.: o.V. [1988] Spalte 1252-1253
[19] Bonoma/Johnston [1978] S. 215
[20] Vgl.: Håkansson [1987] S. 84
[21] Håkansson [1987] S. 85
[22] Vgl.: Biemans [1992] S. 66-67
[23] Vgl.: Biemans [1992] S. 68
[24] Vgl.: Backhaus [1992] S. 120
[25] Vgl.: IMP-Group [1982] S. 16-17
[26] Vgl.: IMP-Group [1982] S. 17-19
[27] Vgl.: IMP-Group [1982] S. 19-20
[28] Vgl.: Gadde/Håkansson [1993] S. 74
[29] Vgl.: Parkinson/Baker [1986] S. 285
[30] Vgl.: Biemans [1992] S. 80
[31] Vgl.: Håkansson [1987] S. 3
[32] Vgl.: Håkansson [1987] S. 4
[33] Vgl.: Håkansson [1987] S. 4
[34] Håkansson [1987] S. 5
[35] Vgl.: Håkansson [1987] S. 15
[36] Vgl.: Axelsson/Easton [1992] S. 133
[37] Vgl.: Axelsson/Easton [1992] S. 133
[38] Håkansson [1987] S. 17
[39] Vgl.: Carlsson [1979] S. 35
[40] Vgl.: Håkansson [1987] S. 97-112
[41] Vgl.: Sahal, D. [1980] S. 110
[42] Vgl.: Håkansson [1987] S. 92
[43] Vgl.: Håkansson [1987] S. 122
[44] Vgl.: Håkansson [1987] S. 124